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Die Stadt Hameln und ihre Juden
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Auf den Spuren des früheren jüdischen Lebens in Hameln - ein Stadtrundgang

Standort 8

Osterstraße 7

Wohnhaus von
Johanne Michaelis

 
Die Familie Michaelis war eine der bedeutendsten jüdischen Familien der Stadt. Mehrmals hatte sie den Vorsitzenden der Hamelner jüdischen Gemeinde gestellt. In die von 1873 bis 1907 dauernde Amtszeit von Carl Michaelis fällt z. B. der Bau der Synagoge.

Wirtschaftlich lebte die große Familie bescheiden vom Handel mit Putzwaren und mit Tabakwaren, beides zunftfreie Gewerbe, die den Juden zugänglich waren.

Die Familie ist seit 1760 in Hameln nachweisbar, das Haus Osterstraße 7 dürfte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in ihrem Besitz sein. In der Hamelner Bürgerschaft hatte diese Familie eine besondere Anerkennung gefunden.

1933 lebten noch zwei Mitglieder der Familie Michaelis im Hause Osterstraße 7. Die damals 62 Jahre alte Johanne Michaelis war unverheiratet und ohne Berufsausbildung. Ihrem älteren Bruder, dem Tabakwarengroßhändler Julius Michaelis, führte sie den Haushalt. Nach seinem Tod im Jahre 1934 übernahm sie das Haus Osterstraße 7, in dem sie 1871 geboren worden war und das schon drei Generationen lang im Besitz ihrer Familie war. Sie lebte von den Mieteinnahmen.

Am 28. März 1939 sah sich die alte Dame gezwungen, ihr Haus an den Gärtnereibesitzer Pfohl für 43.000 RM zu verkaufen. Im Vertrag wurde ihr lebenslanges Wohnrecht zugesichert und die monatliche Miete auf 30 RM festgesetzt. Sie informierte den Oberfinanzpräsidenten in Hannover über die vertraglichen Vereinbarungen und versicherte, dass sie nicht daran denke, den Verkaufserlös ins Ausland zu transferieren.

"Infolge meines hohen Alters, ich bin 68 Jahre, sowie dauernder Krankheiten, kommt eine Auswanderung für mich nicht in Frage."

Der Oberfinanzpräsident genehmigte den Verkauf, untersagte aber die freie Verfügung über den Erlös. Ein Teil des Erlöses musste als "Sühneleistung" an das Finanzamt Hameln überwiesen werden.

Entgegen dem Vertrag und allen Absprachen musste Johanne Michaelis 1940 ihre Wohnung verlassen und wurde in das "Judenhaus" Pferdemarkt 8 "umgesetzt".

Für ihren Abtransport nach Theresienstadt bat sie einen Tischler, ihr eine Transportkiste anzufertigen. Dabei übergab sie ihm eine Gedenktasse, die anlässlich der silbernen Hochzeit ihrer Großeltern angefertigt worden war. Sie mochte sie nicht mitnehmen und bat ihn, die Tasse "bis nach dem Kriege" aufzubewahren.

Am 4. August 1942 – Johanne Michaelis war bereits nach Theresienstadt deportiert – wurde auf Veranlassung des Oberfinanzpräsidenten ihr restliches Vermögen aus dem Verkauf des Hauses in Höhe von 13.684 RM von ihrem Sparkonto "zwecks Einkauf in ein jüdisches Alters- und Siechenheim" abgehoben. Wie andere jüdische Bürger auch wurde sie zum Abschluss eines sog. "Heimeinkaufsvertrages" in das KZ Theresienstadt gezwungen.

Die öffentliche Versteigerung ihres Hausrats unter den Bürgern Hamelns erbrachte nochmals 963,97 RM für die Finanzkasse.

In Theresienstadt starben viele Menschen wegen der schlechten Versorgung und der unhaltbaren hygienischen Zustände. Der Tod von Johanne Michaelis ist für den 16. Februar 1943 dokumentiert.

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© Bernhard Gelderblom Hameln